KI und selbständige Arbeiten

 

vorlesen lassen*

KI und selbständige Arbeiten

Wie soll der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei selbstständigen Arbeiten (interdisziplinäre Projektarbeit, Maturitäts- und Vertiefungsarbeiten) ausgewiesen werden? Und wie sollen solche Arbeiten bewertet werden?

Als Ende 2022 die neuen Möglichkeiten der KI ersichtlich wurden, hat der DLH das Thema "Bedeutung von KI für den Unterricht" zeitnah und intensiv in verschiedenen Impulsworkshops thematisiert, auch in Hinblick auf selbständige Arbeiten. Daraus resultierten u. a. im Juni 2023 Leitfäden und Handreichungen zu IDPA, MA etc., welche auf der DLH-Webseite publiziert und anschliessend laufend aktualisiert wurden. Inzwischen haben viele Schulen ihre Richtlinien und Bewertungsraster angepasst. Der Austausch- und Informationsbedarf ist aber auch nach einem Jahr Erfahrungen nach wie vor gross. Dies zeigt sich einerseits in den Posts unserer Community, andererseits auch an der Veranstaltung «Künstliche Intelligenz an Mittelschulen: Herausforderungen und Chancen», welche das Schweizerische Zentrum für die Mittelschule (ZEM CES) im Mai 2024 durchgeführt hat, u.a. mit einem Workshop zum Thema “KI und Maturitätsarbeit”. Wir fassen in dieser Stecknadel die wichtigsten Positionen zusammen.

Befürworter betonen, dass die Nutzung von KI bei Abschlussarbeiten wie der IDPA, MA oder VA kein Problem, sondern eine Demokratisierung sei in dem Sinn, als dass man bei selbständigen Arbeiten noch nie wusste, wer da alles mitgeholfen hat und nun auch Lernende, welche aus einem bildungsfernen Elternhaus stammen, durch KI wirksam unterstützt werden können. KI sei ein Werkzeug, welches uns allen zur Verfügung steht und die Abschlussarbeit die ideale Gelegenheit, deren Nutzung beim Verfassen einer grösseren Arbeit zu lernen und zu üben. Es sei nach wie vor viel Initiative und Können notwendig, um die Möglichkeiten der KI wirksam zu nutzen und bisherige Erfahrungswerte würden zeigen, dass KI allein noch keine gute Arbeit schreiben könne. Eine Plagiatsprüfung sei zudem aussichtlos.

Kritiker befürchten, dass viele Lernende die KI nutzen und deren Ergebnisse übernehmen, ohne die Inhalte selbst verarbeitet oder kontrolliert zu haben. Sorgen bereitet auch, wie der Anteil der Eigenleistung feststell- und kontrollierbar sei ebenso wie die Schere, welche sich zwischen technik-affinen und technik-nicht-affinen Lernenden weiter öffnen könne. Befürchtet wird auch ein Verlust der Kompetenz, wirklich eigene Texte ohne fremde Hilfe verfassen zu können.

Wie in den Leitfäden des DLH vorgeschlagen, scheinen sich viele einig, dass die Richtlinien und Bewertungsraster so anzupassen sind, dass der KI-Einsatz im Rahmen der Erstellung der Arbeit laufend ausgewiesen und reflektiert, die Gewichtung der Sprache reduziert und die Anforderung an das Sprachniveau erhöht werden soll, weil mit Hilfsmitteln wie DeepL Write mittlerweile allen eine KI zur Verfügung stehe, um fehlerfreie Texte abzugeben. Zudem soll am Schluss nach einer kurzen Präsentation der Arbeit eine mündliche Verteidigung derselben stattfinden.[1] Auch finden einige, dass wegen KI reine Literaturarbeiten nicht mehr zielführend seien und dass als Abgabeform z. T. Formate wie Fotoreportagen, Filme, Formen von Podcasts, Interview-Reportagen etc. an Bedeutung gewinnen könnten. Z. T. wird auch überlegt, ob die im Laufe des Prozesses und allenfalls auch in der Arbeit ausgewiesenen Prompts in Hinblick auf ihre Qualität mitbewertet werden sollen.

Einige Schulen und Kantone haben ihre Richtlinien bereits angepasst und die Bewertung der mündlichen Verteidigung auf 35 % an der Gesamtnote (z. B. KS Zürich Nord bei der MA) bzw. 50 % erhöht (z. B. BBZ Herisau bei der VA oder die Mittelschulen des Kt. BS bei der MA). 50 % finden einige dann doch arg hoch, weil damit für Prozess, Sprache und die Arbeit selbst ebenfalls nur noch 50 % zur Verfügung stehen und der Aufwand für das Verfassen einer Arbeit nach wie vor, auch mit KI-Hilfe, gross und entsprechend zu gewichten sei. Auch würden sonst rhetorisch eher ungeschickte Lernende, welche sich im Gespräch nicht so gut verkaufen können, benachteiligt.

Unterschiedlich sind auch die Szenarien, ob beim Prüfungsgespräch die Familie, Bekannte und Interessierte anwesend sein dürfen oder dieses unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll und, falls z. B. die Angehörigen auch anwesend sein dürfen, ob diese auch Fragen stellen dürfen oder nicht. Da wird befürchtet, dass Familien vorgängig Fragen und Antworten absprechen und so das Prüfungsgespräch in ihrem Sinne beeinflussen könnten.
Diskutiert wird auch, wie gut die Lernenden im Rahmen des Unterrichts für den Einsatz von KI vorbereitet werden müssen, ob der Einsatz von KI z. B. zur sprachlichen Korrektur und Bereinigung nicht sogar explizit verlangt werden soll und wie stark die Nutzung von KI beim Erstellen der selbständigen Arbeit auszuweisen sei. Das Spektrum geht von einfacher bzw. summarischer Nennung im Rahmen der Selbständigkeitserklärung, welche KI man wozu genutzt habe, bis hin zur Dokumentation aller Prompts und Chat-Verläufe im Anhang der Arbeit. Gegen ein zu ausführliches Ausweisen der KI-Anfragen mit Prompts und Chat-Verläufen im Anhang werden die Argumente ins Feld geführt, dass man das bei der Mithilfe von Eltern, Verwandten oder Kolleg:innen bisher auch nicht verlangt habe und dass dies ein grosser Aufwand sei, der wohl dazu führe, dass einige dann aus arbeitsökonomischen Überlegungen den Nachweis ganz sein lassen würden.

Was meinen Sie?

  1. Wie viel Gewicht soll die mündliche Verteidigung der selbständigen Arbeit am Schluss in Bezug auf die Gesamtnote erhalten? 35 % oder 50 %?
  2. Soll diese mündliche Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden oder nicht?
  3. Wie stark soll die Unterstützung durch KI beim Erstellen einer selbständigen Arbeit ausgewiesen werden? Reicht der Hinweis im Rahmen der Selbständigkeitserklärung bzw. die Nennung, welche KI wozu verwendet wurde im Schlusswort, oder soll jeder Prompt inkl. Chatverlauf im Anhang aufgeführt werden?


Diskutieren Sie mit im Teams-Kanal “04 Bewerten – Lernnachweise – Feedback" der DLH-Community!

*vorgelesen von einer synthetischen Stimme

[1] Mit dem Ausbau bzw. der stärkeren Bewertung der mündlichen Verteidigung wird zu überprüfen versucht, ob die Lernenden die Arbeit selber erstellt und gedanklich durchdrungen haben. Eine absolute Sicherheit wird es wohl aber auch bei dieser Form nicht geben, vgl. den Artikel in der NZZ über einen Lernenden, der sich auf die mündliche Maturaprüfung mit Hilfe der KI vorbereitet und die Höchstnote erreicht hat, ohne die Originalwerke gelesen zu haben bzw. die damit verbundenen (spannenden!) Diskussionen, z. B. hier beim DLH oder auf LinkedIn.

 
 
 
Ressourcen

https://dlh.zh.ch/home/impuls-workshops/genki

Durchgeführte Impuls-Workshops des DLH rund um generative KI

Leitfäden - Digital Learning Hub Sek II (zh.ch)

Leitfäden und Handreichungen des DLH zum Thema “KI und selbständige Arbeiten”

FAQ - Digital Learning Hub Sek II (zh.ch)

Unter “KI-Nutzung gestalten” hat der DLH Antworten auf häufig gestellte Fragen rund um KI und selbständige Arbeiten zusammengestellt.

GH_2024_03_d.pdf (vsg-sspes.ch)

Auf Seite 10 des “Gymnasium Helveticum” fasst VSG-Präsident Lucius Hartmann die Inhalte des Webinars des ZEM CES zu “Künstliche Intelligenz an Mittelschulen: Herausforderungen und Chancen” zusammen. (Der Input zum Workshop “Weiterbildung von Lehrpersonen” wurde von André Dinter und Alexander Wilhelm vom DLH gehalten.)

Intro Animation Züri Wappen